02. Verwobene Traditionen. Rituale und ihre zeitlose Bedeutung

Shownotes

Die Kultur- und Literaturwissenschaftlerin Aleida Assmann und Schwester Scholastika Jurt erkunden in der Episode „Verwobene Traditionen“ Rituale und ihre zeitlose Bedeutung. Sie reflektieren darüber, wann aus einer einfachen Gewohnheit ein bedeutsames Ritual wird, betonen ihre heilsame Wirkung und vertiefen sich in Diskussionen über Identität und Zugehörigkeit. Dabei werfen sie einen Blick auf die Bedeutung von Ritualen im Kontext von Raum und Zeit sowie ihr verbindendes Gemeinschaftsmoment.

Moderation: Maja Ellmenreich Redaktion und Konzeption: Paula Oster und Maja Ellmenreich Musik, Trailer & Postproduktion: Andi Otto Technik: Jan-Felix Klein

Inhaltliche Impulse und Unterstützung: Sr. Josefa Thusbaß, Ulrike Rose, Manuela Kalsky, Paul Wennekes, Sr. Katharina Hemmers, Sr. Dagmar Fasel, Sr. Raphaela Jörger, Sr. Francesca Hannen, Sr. Emma Chinyama, Sr. Kathrin Schäfer, Sr. Ursula Hertewich, Sr. Hannah Rita Laue

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Mit anderen Worten, zwei Welten im Gespräch. Was macht uns aus? Was treibt uns an? Worauf sollten, worauf könnten wir uns wieder besinnen? In unserem Podcast geht es um diese Fragen, also um die großen Themen des Menschseins. Heute wollen wir über verwobene Traditionen sprechen, über Rituale und Rhythmen, über die Kreisläufe des Lebens. Ich bin Maja Ellmenreich, von Haus aus Radiojournalistin. Und ich freue mich auf meine beiden Gesprächspartnerinnen. Die kommen auf den ersten Blick aus zwei Welten und haben sich, da bin ich mir sicher einiges zu sagen. Für die kulturwissenschaftliche Welt steht Aleida Assmann. Guten Tag, Frau Asmann. Guten Tag, Frau Ellmenreich. Ja, und für die Geistliche, die spirituelle Welt, steht Schwester Schoalstika Jurt. Auch Ihnen ein herzliches Willkommen, Schwester Schoalstika. Grüß Gott, Frau Ellmenreich. Ja, ein bisschen genauer möchte ich Sie beide noch vorstellen. Bevor wir richtig einsteigen in unser Gespräch, beginnen wir mit A wie Assmann. Aleida Assmann ist Literatur - und Kulturwissenschaftlerin. Vor ihrer Emeritierung hat sie unter anderem lange Jahre als Professorin an der Universität in Konstanz gelehrt. Besonderer Schwerpunkt ihrer Arbeit ist das Erinnern und das Vergessen, die Erinnerungskultur und die Geschichtsvergessenheit. Aleida Assmann ist mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden, gemeinsam mit ihrem Mann, dem Ägyptologen Jan Assmann, zum Beispiel 2018, mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Alles richtig, Frau Assmann? Ja. Ja, und die Schweizerin, Schwester Schoalstika Jurt ist Generalpriorin des Domininikanerinnen-Klosters in Arenberg. Das heißt, sie ist die Erste unter den Schwestern und leitet die Ordensgemeinschaft. Bevor sie 1990 zur Dominikanerin wurde, hat sie in der Schweiz als Primar- also als Grundschullehrerin gearbeitet. Heute macht sie sich im Synodalen Weg, dem großen Reformprojekt der katholischen Kirche, stark für Frauen und queere Menschen, auch für den Segen für alle. Denn, so Schwester Scholastika Jurt, die Kirche dürfe niemanden mehr ausschließen. Ich habe sie richtig zitiert. Ja.

Gut, fangen wir ganz vorne an. Am frühen Morgen, Schwester Schoalstika, ich habe gelernt, dass bei ihnen im Kloster Arenberg die Dominikanerinnen jeden Tag in Stille beginnen. Was ist das für ein Ritual? Es geht darum, dass ich mich nicht gleich berieseln lasse, sondern dass mein Herz frei und leer bleibt, erst einmal für Gott und für seine Präsenz, dass ich eigentlich sehr bewusst aufstehe und mich auf diesen Tag einlasse und nicht schon voll bin von irgendwelchen Meldungen. Wir beginnen dann mit einer Meditationszeit, die jedoch jede Schwester selber aussuchen kann, ob der Morgen auch der richtige Zeitpunkt ist. Anschließend beginnt dann das gemeinsame Gebet, die sogenannte Laudes, Morgenlob. Wir haben dann euch Eucharistiefeier, Frühstück mit Tischlesung und erst danach wird gesprochen bei uns. Würden Sie sagen, das ist alles ein Ritual, das erste Ritual des Tages? Oder würden Sie sagen, das ist schon eine ganze Reihe von Ritualen nacheinander? Ich finde, das sind schon viele Ritualen, vor allem allem steht ja auch jede Schwester noch anders auf. Also, ich glaube, jedes Leben hat ganz unterschiedliche Rituale. Ich weiß nicht, ich finde es immer schwierig zu unterscheiden, was ist ein Ritual, was ist Gewohnheit, was ist Kult? Ich finde es gar nicht so leicht zu trennen, vor allem Rituale Gewohnheit. Vielleicht können wir genau diese Frage weiterspielen an Frau Assmann. Jetzt sind schon eine ganze Reihe von Worten gefallen.

Das Ritual, die Tradition, die Gewohnheit, haben Sie eine griffige Definition von dem, was ein Ritual ist und was es dann eben abgrenzt womöglich gegen diese anderen Begriffe? Ja, Rituale, glaube ich, haben zwei Merkmale. Das eine ist, dass es etwas verkörpertes ist, etwas, was man mit Leib und Seele tut und empfängt. Der ganze Körper muss damit spielen. Und das zweite ist, dass es etwas ist, was man wiederholt. Dass es hier wiederholt wird, ist der Sinn der Sache. Also da muss man schon ein bisschen aussteigen aus unserer Kultur-Tradition, die ja sehr stark auf Innovationen ausgerichtet ist. Es muss alles immer neu werden, muss sich alles ständig verändern. Genau darum geht es nicht, dass sich das Ritual auch verändert, ist klar. Aber es ist nicht darauf angelegt, das "Neue" permanent uns zu bringen und dem zur Erscheinung zu helfen, sondern sich auf ganz andere Möglichkeiten der Kultur einzustellen. Und da Rituale eben sehr viel mit Kultur zu tun haben, ich würde sagen, sie sind vielleicht das Urgestein der Kultur überhaupt. Auch unserer Kultur, weiterhin und umfassen alle Kulturen von den archaischen bis zu den modernsten Kulturen. Deswegen finde ich das großartig, dass wir mal in dieser Runde darüber nachdenken können. Jetzt haben wir ja gerade gehört, dass jede Schwester für sich in Stille beginnt, aber irgendwann beginnt auch die Gemeinschaft, irgendwann begegnet man einander, auch wenn man nicht miteinander spricht, also singulär oder in der Gemeinschaft, Frau Assmann, das macht keinen Unterschied, man kann auch ganz für sich ein Ritual pflegen? Ja, natürlich. Es gibt ja auch Gemeinschaftsräume und Klöster, wie hier die Kartause Ittingen, bis Mitte des 19. Jahrhunderts, die war dafür angelegt, das jeder das für sich alleine machte. Die durften sich gar nicht treffen und nicht miteinander sprechen und die Mönche, die dort waren, die durften nicht mal von den Leuten, die ihnen das Essen brachten, Notiz nehmen. Deswegen war das so eine Durchreiche-Schranke, die eben anonym war auch noch. Aber sie durften am Sonntag nachmittags zusammen spazieren gehen und einmal in der Woche miteinander reden. Also das kann man dosieren, diese Gemeinschaft und man kann auch einsam in der Gemeinschaft sein. Natürlich kann man auch sehr einsam in der Masse sein.

Ich greife das Wort Wiederholung mal auf, denn jeder Morgen, Schwester Scholastika, beginnt auf diese Weise. Diese Wiederholung, was löst die in ihnen aus? Können sie das in Worte fassen, diese Gefühle womöglich? Ich finde, es schenkt etwas Selbstverständliches. Also ich muss mich jeden Morgen überlegen, was ist jetzt heute, wie beginn ich den Tag, was für uns sowieso noch, weil wir den Habit tragen, was ziehe ich an. Also es ist, ich finde, es gibt etwas Selbstverständliches für den Alltag und auch nicht so ein großes, ich bin noch müde, ich bin noch erschöpft, eigentlich möchte ich noch schleppen. Nein, der Wecker geht, man steht auf und ich finde, das hat auch so etwas Verbindendes natürlich in der Gemeinschaft. Die Rituale geben auch so eine selbstverständliche Sicherheit. Wir haben einige Schwestern, das finde ich ein gutes Beispiel, die haben so dementielle Veränderungen und diese Rituale geben eine ungeheure Sicherheit, dieser Rhythmus, den wir Tag für Tag leben. Sobald es da eine Störung gibt, also beispielsweise Weihnachten, da feiern wir die Christmette, dann gibt das so ein kleines Beben manchmal durch die Gemeinschaft. Und ich höre eine gewisse Entlastung daraus und diese Frage möchte ich eigentlich an Frau Assmann weiterreichen. Was bedeutet das? Ist ein Ritual sozusagen etwas ganz Bewusstes oder ist das Ziel eines Rituals oder das Wesen besser gesagt? Das Wesen eines Rituals auch, dass es in einer gewissen Weise ein unbewusstes Moment mit sich trägt, weil es einfach immer wieder sich wiederholt und man gar keine Gedanken daran verschwenden muss, dass es ansteht, weil es passiert geradezu von selbst? Ja, das ist eine gewisse Paradoxie, die da drin steckt, die finde ich sehr, sehr interessant.

Vielleicht kommen wir da näher dran, was da jeweils dran bewusst und was unbewusst ist, wenn wir mal zwei Begriffe noch dazu nehmen. Ich würde mal den Begriff Routine hinzufügen. Also die Routine unterscheidet sich vom Ritual dadurch, dass sie unbewusst ist und automatisch. Also man muss nicht mit voller Präsenz des Körpers und der Seele da teilnehmen, sondern das macht man einfach. Ich denke an die Raucherpausen zum Beispiel, auf Konferenzen. Leute müssen halt raus und das ist ihre Routine und sie rauchen ihre Zigarette und müssen sich darüber auch gar keine Gedanken machen. Sie ist in einer anderen Weise selbstverständlich, nämlich automatisiert. Und dann gibt es natürlich auch die Raucherpausen inzwischen, die können sich auch zu Ritualen entwickeln, weil das eine kleine Minderheit ist, das wird dann zelebriert. Das ist dann schon wieder ein bisschen was anderes. Aber um diese Selbstverständlichkeit des Rituals deutlich zu machen, möchte ich gerne den Begriff des Festes noch hinzufügen. Und das ist nämlich beim Fest ganz genauso. Ob ein Fest ansteht und ob das gefeiert wird oder nicht, man muss es nicht feiern, aber ob es ansteht oder nicht, das ist innerhalb einer Kultur selbstverständlich. Ich denke an Weihnachten. Da gibt es keine Diskussion und Diskurse darüber, sollen wir es feiern, sollen wir es nicht feiern, das steht an. Das ist ja schon im Kalender auf Jahre vorgedruckt gewissermaßen. Und wenn ich jetzt aus dem Fenster gucke, da hängt da eine lange Schnur, eine Wäscheleine praktisch so auf der Traufhöhe der Dächer, da hängen lauter Stofffetzen dran. Das ist das Signal, dass wir nicht mehr in der Weihnachtszeit sind, sondern in der Fastnachtzeit. Die hat jetzt begonnen, die geht immer – kaum sind die Christbäume aus dem Haus, kommen die Fastnachtsstreifen auf die Straßen. Das wird nicht diskutiert. Das ist für die Gruppe, die das begeht, eine Selbstverständlichkeit. Und es hat genau auch diesen Ordnungscharakter. Man kann sich daran orientieren, man weiß, wo man ist. Man weiß aber auch, wer man ist. Man gehört zu dieser Gruppe und ist Teil dieses Lebens.

Und wenn Sie Gruppe sagen, dann sind wir schon bei dem Gemeinschaftsbildenden, dem Identitätsbildenden auch, kann man das so formulieren? Ja, unbedingt. Man kann sogar sagen, selbst in der kleinen Siedlung, wo wir sind, da sieht man auch die echten alten Konstanzer, die haben diese Fähnchen da alle hängen und wir sind ein klein bisschen davon abgetrennt, weil wir diese Schnüre nicht um unser Haus hängen haben. Also es ist ein Brauchtum,

das deutlich macht, wo die Alteingesessenen sitzen, die da am tiefsten mit verankert sind und wo die neu Zugezogenen sind. Das verbindet sich durchaus, aber es gibt unterschiedliche Formen, der auch der Dichte und Tiefe der Zugehörigkeit, ob man da in diesen Vereinen mitwirkt oder nicht. Also es gibt gerade das Partizipierens an dieser Jahreszeit, der Fastnacht an dieser fünften Jahreszeit. Es ist natürlich, aber in diesem Sinne kein wirkliches Ausschlussinstrument, das sagt, das sind wir und ihr habt damit nichts zu tun, denn in den Städten hier im Süden ist das überall zu finden. Aber es ist schon eine gewisse Markierung und man kann, wenn man es weiß, schon ein bisschen ablesen, wer dazu und wer womöglich nicht dazu gehört. Schwester Schoalstika, wie ist das bei den Dominikanerinnen? Gibt es spezifische Dominikanerinnen-Rituale? Ja, ich glaube schon aus der Geschichte heraus. Mit kommt spontan in den Sinn, dass wir jeden Abend nach der Komplet eine kleine Prozession haben. Da ziehen wir mit zwei Kerzen aus dem Chorgestühl und singen dann vor einer Mutter -Gottes -Statue das Salve Regina und holen uns den Schutz, den Segen für die Nacht. Und ziehen dann noch einmal ein und singen dann noch eine sogenannte Antifon, ein Gesang zum heiligen Dominikus. Und das ist uralt und das, glaube ich, verbindet uns auch. Also gerade diese beiden Gesänge, Salve Regina und O Lumen, ist ein Gesang zum heiligen Dominikus. Wenn wir das singen, also zum Beispiel das letzten Samstag war die Gründungsfeier der neuen Provinz, der Dominikaner, Deutschland, Österreich. Wenn das Salve Regina erklingt, das können wir alle auswendig. O Lumen können wir auswendig. Und ich glaube, das können wir auf der ganzen Welt, weil es die gleiche Melodie ist. Das hat was Verbindendes. Oder ich komme in eine Stadt und das sind Dominikaner. Allein schon, ja, wir sind gemeinsam unterwegs, dann hat das ein Gefühl von Zuhause sein, von Familie, von Zugehörigkeit, genau was Frau Assmann sagt. Natürlich auch der Habit, wenn wir jetzt so die Ganzheitlichkeit einbeziehen, wir sind sofort erkennbar. Ich finde es ein sehr, sehr wertvolles Zeichen, schönes Zeichen von, wir nennen es ja auch die dominikanische Familie. Wir erkennen uns.

Sie erkennen einander und wenn Sie jetzt gerade das Salve Regina angesprochen haben, leben Sie dieses Ritual zum Beispiel auch abends, wenn Sie mit den Kerzen ausziehen, immer mit der gleichen intensiven inneren Anteilnahme, mit aktivem Bewusstsein oder gibt es da auch Tagesform -Unterschiede, so möchte ich es mal formulieren. (lacht) Nein, das ist so – ich würde garnicht sagen Trott, aber das – manchmal ist es bewusst, manchmal wird man einfach so mitgenommen, das ist ja auch das Geschenk des gemeinsamen Betens. Man kann nicht immer in dieser Präsenz und Wachheit da sein, aber ich werde mitgenommen, so wie wie auf einem Schiffchen, die Schwestern singen weiter und meine Gedanken gehen vielleicht mal ganz woanders hin. Das ist ja auch so wenn wir die Psalmen miteinander singen, so im Wechsel. Ich bin mitgetragen und das ist nicht immer mit vollem Bewusstsein und ganz grosser Wachheit. Manchmal muss ich mich wieder zurückpfeifen und oder man sagt, oh, es ist ja schon vorbei und ich war gar nicht dabei. Also ich sag ich mal mit dem Geist körperlich, aber nicht mit dem Geist. Aber ich finde das auch nicht schlimm.

Also mal im Hier und Jetzt und manchmal vielleicht auch ein bisschen woanders, Frau Assmann, kann man sagen, dass das Ritual dem Moment dient oder der Vergangenheit oder der Zukunft? Wo verortet man das Ritual? Ja, ich würde mal sagen, es gibt zwei Zeiten, in denen wir leben. Wir leben in einer Zeit, die vorübergeht, das ist die Zeit der Uhr, des Kalenders, der Nachrichten, die wir hören, also überall haben wir Zeit-Signale, die uns daran gemahnen, dass hier etwas ein Strom durch uns hindurch fließt. Das ist auch die Zeit, ich will sagen der Geschichte, die Zeit, die vergeht, die Zeit, die man dann hinterher sich vergegenwärtig durch Geschichtszahlen und man verschiebt seinen Jetztpunkt ständig auf dieser Linie. Das ist die eine Zeit. Und dann gibt es die andere Zeit, ich nenne es mal die Zeit der Feste, das ist die Zeit der Vergegenwärtigung. Also immer wenn diese Wiederholung stattfindet, kehren wir in dieselbe Zeit zurück. Und das Interessante, das kann man sich sofort klarmachen, auch an Weihnachten zum Beispiel, wird uns nicht jedes Jahr klar, dass wir ein Jahr weiter weg sind von der Geburt Christi. Das spielt überhaupt keine Rolle. Im Gegenteil ist es ein Fest, dass eher die Aufgabe hat uns das Geschehen so zu vergegenwärtigen, dass es eben wieder Teil unserer Lebenswelt wird. Und das sieht man auch in vielen Liedern und in vielen Bräuchen und Theaterstücken, wo das eben mitten immer in die Gegenwart hineingeholt wird. Es ist sozusagen eine ewige stehende Gegenwart, in die man immer wieder eintreten kann durch Vergegenwärtigung. Und das ist in allen Kulturen der Fall, aber bei den Gedenkritualen zum Beispiel, die ja auch wichtige Rituale sind, ist es meistens ganz anders. Da geht es nämlich nicht um die Zeit dieses Mythos, sondern es geht um die Zeit der Geschichte und jedes Jahr spielt eine Rolle, das vergeht. Also wir haben jetzt 75 Jahre Grundgesetz zum Beispiel. Die Zahlen spielen eine Rolle, wir verabschieden uns oder wir entfernen uns, aber verabschieden uns nicht. Und wir nehmen das mit, aber wir merken auch, dass der Abstand größer wird und deswegen sind die Jahre dann auch so ein Anlass zur Wiederholung. Werden aber gezählt und Weihnachten wird nicht gezählt und Ostern nicht auch nicht und Fastnacht und auch nicht. Und daran sieht man, das sind Feste, die wirklich diese Zeit außer Kraft setzen und uns immer wieder in praktisch dieselbe Form von Gegenwartszeit. zurückholen. Rituale, wenn ich beim Stichwort Zeit nochmal bleibe, habe ich so den Eindruck, dass Rituale Zeit brauchen. Also bremsen Sie in der gewissen Weise uns, die wir versuchen, in unserer Welt vieles zu optimieren, schneller zu werden, mehr in den kleinen, gleichen Zeitraum zu packen. Bremsen uns Rituale in einer gewissen Weise aus, auf eine positive Art und Weise?

jetzt bin ich da. Dann wenden wir uns zum Kirchenraum, wo der Altar steht und das Gebet beginnt kurze Zeit danach. Also es sind so Hilfen in diese andere Zeit oder in diesen anderen Raum wie einzutreten. Es ist was anderes dran. Und das, was vorher war, lasse ich liegen, auch wenn es wichtig ist. Ich lasse es liegen. Ich finde das ein Privileg. Wer kann das? Aber so diese klösterliche Lebensform gibt uns dieses Privileg dann diese Zäsur zu setzen.

Und der Körper ist beteiligt, Sie haben es jetzt gerade betont. Frau Assmann, die Körperlichkeit, die äußere Handlung, die Sichtbarkeit, spielen die eine ganz essentielle Rolle sozusagen im Wesen des Rituals oder gibt es, ich hätte fast gesagt, So 'ne und solche Rituale, wo der Körper eine größere und vielleicht auch mal eine nebensächliche Rolle spielt? Vielleicht noch mal zur Ergänzung. Ich glaube, es ist nicht nur der Körper, sondern es ist auch die Seele, der da eine Rolle spielt. Und deswegen glaube ich auch, dass die Rituale sehr viel damit zu tun haben, dass sie Feste unterstützen. Ich Spreche jetzt mal nicht vom klösterlichen Ablauf des Lebens, sondern von den Festen, die man man eben auch in der Säkularen Welt hat. Da geht es wirklich darum, der Seele eine andere Schwingung zu geben. Und mit dieser Seele verändert sich natürlich auch der Körper. Mir ist mal die Formel dazu eingefallen. Eigentlich sind die Feste der Biorhythmus der Seele, denn die ja auch durch viele, viele unterschiedliche Zustände hindurchgeht. Und manchmal, vom einen Fest zum anderen, gibt es auch einen totalen Umschwung, wenn ich an die Passionszeit denke und dann an Ostern. Da wird ja auch der Umschwung der Stimmung in den Mittelpunkt gestellt. Das ging ja so weit früher in den Gottesdiensten, dass die Pfarrer auf der Kanzel an Ostern die Gemeinde zum Lachen bringen mussten. Die Osterfreude musste sich in einem schallenden Gelächter der Gemeinde ausdrücken. Und das weiß ich, interessiert mich als Literaturwissenschaftlerin, denn es gibt tatsächlich diese Predigtmärlein der Barockzeit. Das ist der ganze Schatz von volkstümlichen Witzen und Erzählungen und auch manchmal auch zudigen Geschichten. Die wurden dann an diesem Tag auf der Kanzel erzählt, damit die Gemeinde in Fahrt kam. Also das machen wir nicht mehr so drastisch aber dadurch ist uns ein mündlicher Erzählschatz auch überliefert, dass manche dieser Predigten aufgezeichnet wurden. Das war üblich und darunter eben auch diese ganzen heiteren Geschichten und Witze, die dann erzählt wurden. Also es sind ganz unterschiedliche Stimmungen und dieses Gestimmtheit als Gruppe, als Gemeinde, das ist natürlich ganz stark mit dem Körper verbunden. Man zieht sich anders an. Wir haben schon gehört, dass Habit spielt eine große Rolle. Ich finde sehr schön den Begriff des Raumes hier auch, dass man wirklich über eine Schwelle tritt und in einen anderen Raum eintritt. Also, dass man da immer sozusagen unterwegs ist, Räume betritt, die man wieder verlässt. Dass es da einen Wechsel gibt und auf die Weise verändert sich unser Leben stark in diesem festlichen Raum und es ist aber etwas, was wir nicht alleine tun, sondern wo wir, wie wir es auch schon gesagt wurde, wo wir mitgenommen werden. Wir werden gestützt. Es wird uns angeboten. Es ist ein vorstrukturiertes Programm, ein kulturelles Programm, das wir eben damit immer wiederholen und wiederbeleben.

Ich habe in der Vorbereitung auf unser Gespräch den schönen Satz gelernt, "Halt du die Form und die Form hält dich“. Können Sie damit was anfangen, Schwester Scholastika, ist das sozusagen der logische Bogen von dem, was Frau Assmann gerade gesagt hat? Ja, das finde ich schon. Ein Ritual formt uns, hilft uns, ich sage sogar, in die Tiefe zu wachsen, weil der Kopf dann frei wird. Der Kopf wird frei und er kann sich dem Inhalt der Thematik zuwenden und ja, da kann Vertiefung geschehen. Das finde ich ein ganz wichtiges Wort.

„und jetzt bin ich alt, jetzt ist das alles. Lange her. Lange her. Sondern ich erneuere es“ und das macht etwas mit uns. Ich komme in eine andere Lebensphase hinein und das zu feiern, machen wir ja auch in der sogenannten "Zivilen Welt" und im Kloster auch. Ja, und das machen wir auch in der "Zivilen Welt", sagt Schwester Scholastika gerade. Frau Assmann, dieses Erinnern ist dann auch immer ein Schutz vor dem Vergessen, oder? Das ist ja sozusagen Ihr großes Thema. Ja, aber zunächst mal machen wir das ganz selbstverständlich in der "Zivilen Welt", zum Beispiel auch mit den Geburtstagen. Das sind ja nun auch Rituale nun für das Individuum. Das ist kein Kollektiv-Ereignis. Und ich fand das sehr interessant. Wir waren ein halbes Jahr in Israel. Unsere Kinder gingen auf eine hebräische Schule. Wenn einer dieser Schüler Geburtstag hatte, dann hat er nicht ein paar Freunde eingeladen, wie das bei uns üblich ist, sondern immer die ganze Klasse. Und auf diese Weise kamen eben auch unsere Kinder, obwohl sie ja nur kurz in dieser Klasse waren, auch immer zu all diesen Kindern nach Hause. weil da. gab es dieses Kollektivbillett für die Geburtstagsgäste und das fand ich eigentlich ganz großartig, diese Vergemeinschaftung auch der neuen Kinder in der Klasse. Also da wurde mir klar, dass wir das so nicht haben und dass der Geburtstag doch sehr stark der Tag für den Einzelnen ist, damit der auch mal herausgehoben wird, was ja auch schön ist. ist. Aber auch der Namenstag, ein Ritual, was je nachdem, wo man lebt, womöglich eine größere Bedeutung hat als der Geburtstag. Ist das so bei Ihnen, Schwestern Scholastika? Ja, der Namenstag wird sehr groß gefeiert. Die meisten Schwestern haben ja einen neuen Namen bekommen mit dem Beginn des Noviziats. Heute betont man hier wieder die Taufe. Also wir leben die Taufe und es ist nicht ein radikal neues Leben, sondern wir versuchen die Taufe zu leben, ihr Gestalt zu geben, darum die jüngeren Schwestern aber eher ihren Namen behalten, aber das hat größere Bedeutung als die Geburtstagsfeier. Es wechselt auch etwas, weil wenn wir nicht geboren sind, könnte wir diesen Weg auch nicht gehen. Eine bestechende Logik.

Jetzt sind wir aber schon so mittendrin in der Familie. Da stelle ich mir die Frage, Gibt es Phasen in einem Leben, wo man besonders empfänglich für Rituale ist? Frau Assmann , was wissen Sie darüber? Ich würde jetzt erst mal denken, gerade mit Kindern werden Rituale gepflegt und ich habe den Eindruck, als wären Kinder besonders empfänglich dafür. Kinder fordern Sie ein, es gibt nichts Schöneres für Kinder als Rituale zu zelebrieren, da einbezogen zu werden, man hat Aufgaben, man ist da voll eingespannt und erlebt das als absoluten Höhepunkt. Diese Formen der Tiefe, der Teilhabe oder bei demenziellen Zuständen, dass es da Schichten in unserer Persönlichkeit gibt, die immer ansprechbar bleiben, weil sie eben nicht vergessen werden und immer noch wieder aufgeweckt werden können, das ist mal einer Gruppe von Schülern aufgefallen, als sie freiwillig in die Altenheime ging, um sich einfach mit den alten Menschen auszutauschen, damit die auch mal ein bisschen Ansprache hatten mit der jüngeren Generation und sie haben ganz bald festgestellt, dass es durch das Singen am einfachsten war. Und dann haben sie rausgekriegt, welche Lieder diese Menschen kannten und haben sie mit ihnen gesungen. Und das waren Höhepunkte für diese Menschen, weil sie plötzlich in der Gegenwart vollkommen gleich beteiligt engagiert waren und zudem auch noch eine Tiefenschicht ihrer Erinnerung aufgerufen wurde, in denen sie sich selbst wieder jung wussten. Also diese Möglichkeit, gereimtes oder eben gesungenes wieder zu aktivieren, das hat eine unglaublich verbindende Kraft innerhalb der Generationen und kann man eben auch so teilen. Schwester Schollastika, das können Sie aus Ihrer Ihrer Erfahrung mit den überwiegend älteren Schwestern teilen bzw. bestätigen? Ja, es gibt ja auch sogar eine Vorliebe von Erzählen aus der Kindheit. Also wie es war damals und eine Nostalgie würde ich es fast nennen, ob immer alles wirklich so schön war, stelle ich manchmal infrage, aber es ist Ihnen so ganz wichtig, Erinnerungen aus der Kindheit nochmal zu erzählen, hervorzuholen. Die Familie hat schon ein ungeheures Gewicht. So, natürlich viele unserer Schwestern haben den Krieg erlebt, auch da kommen Erinnerungen hoch und ich finde gut, dass es Erzählräume gibt, dass es Erzählräume gibt, weil dann etwas nochmal frei werden darf. Aber dieses Erzählen ist für viele ganz, ganz wichtig. Da wird das Erinnern selbst womöglich zum Ritual. Was dann sozusagen eine Art der Kommunikation ist. Sind Rituale eigentlich, Frau Assmann, ohnehin ein Mittel der Kommunikation? Also, um gerade Ihre Formel vom „Erinnern wird zum Ritual“ aufzugreifen und nochmal zu unterstreichen, es ist so, dass es im Englischen dafür ein eigenes Wort gibt und auch inzwischen eine eigene Therapieform. Und dann, das nennt man da nicht „to remember“ oder „to recall“, sondern to reminisce. Also, Reminiszenz. Das ist, sich mit Menschen über ihre Kindheit zu unterhalten, sie in diese Welt zurückzubegleiten. Das ist es ja, Kommunikation begleitet. Ihnen erlaubt, sich in dieser Welt noch mal zu bewegen und sie mit anderen Menschen zu teilen. Das ist ja eigentlich der Hauptgrund, der Not ist die Einsamkeit im Alter, dass man alle die verloren hat, mit denen man diese Erinnerungen teilt. Man ist nicht mehr Teil der Sozialität einer geteilten Erinnerung, sondern man ist allein geblieben mit seinen Erinnerungen, aber die erzählen zu können einer Gruppe führt zu einer Art Glückszustand. Ich würde sagen, das ist mehr als Nostalgie, das ist einfach das noch mal erleben und vor allem eine Ressource entdecken, die man im Alter hat, wenn alles andere weniger wird. Also man kann nicht mehr reisen, aber man kann noch mal in die Vergangenheit reisen, wenn andere auf diese Weise einladen, gewissermaßen und mitkommen. Also nicht, dass einem das allein überlassen, sondern willig sind, mit zu reisen in diese Vergangenheit. Und das ist eine ganz wichtige Ressource, die man inzwischen viel stärker auch beachtet zum Glück.

Ich würde gerne die kulturwissenschaftliche Uhr mal ganz zurückdrehen und der Frage nachgehen mit ihnen gemeinsam, wie Rituale überhaupt entstehen. Ich bin mir gar nicht so darüber klar, wie bewusst eigentlich sozusagen der Ursprung vieler Rituale ist. Kann man das irgendwie sagen, Frau Assmann, wie entsteht ein Ritual? Also wir erleben, das ständig neue Rituale auch entstehen. Also es ist nichts rein Ursächliches. Es ist tatsächlich sehr oft so etwas wie eine Gründung von etwas, worauf sich dann die Nachwelt beziehen kann, worauf sie zurückgehen kann. Ein Beispiel jetzt mal mit dem Bau der Kathedralen, etwa im Mittelalter. Da spielen die Reliquien eine große Rolle, also im Kern dieser Kathedrale, unter ihr gibt es Reliquien und diese Reliquien wiederum werden zum Anziehungspunkt zum Magneten von Pilgerreisen. Und auf die Weise kommt das ganze Land in Bewegung, weil mit den Festen die Menschen auf der Straße sind und sich diesen Orten nähern. Und da ist dann ein großer Betrieb auch im Gange, wo ganz, ganz viele Menschen engagiert und involviert sind. Also das ist mal die Vorstellung davon, dass wir nicht nur eine Geografie oder eine. Infrastruktur haben, wo die Menschen leben und wie sie verkehren, sondern dass es auch so etwas gibt wie eine gegründete Topographie, also Orte, von denen man sich weg bewegt oder zu denen man sich hin bewegt. Und wenn wir an den Jakobsweg denken, dann wissen wir auch, dass das immer noch sehr attraktiv ist, sich unterwegs zu wissen und laufend einem Ort zu nähern. Und das wird inzwischen so weit ausgedehnt, dass das Laufen selbst zu einem Ritual werden kann. Also ein Freund hier in Konstanz, der läuft sehr gern und er addiert seine Kilometer und er sagt mir, er sei jetzt auf dem Rückweg von Jerusalem. Also eine gedankliche Reise. Ja, genau. Er addiert seine Schritte. Aber das zeigt einfach nur, dass es da wirklich sehr Alte und sehr tief einverseelte und verkörperte Formen von Ritualen geht, die etwas mit den Orten zu tun hat, zwischen denen man sich bewegt. Wie ist es bei Ihnen, Schwester Scholastika? Gibt es Rituale, die Sie für Ihre Ordensgemeinschaft womöglich auch neu ins Leben rufen? Oder reihen Sie sich eher ein in die lange Schlange der Rituale, die schon lange vor Ihnen existiert haben? Ich glaube immer, wenn auch junge Schwestern, also junge Frauen dazukommen, die mit uns das Leben teilen wollen, ist es wichtig, nochmal auf die Rituale zu schauen, oder was wollen wir verändern? Oder die jungen Frauen brauchen vielleicht noch mal etwas anderes als die Älteren und zu schauen welchen Rhythmus bekommt das, also beispielsweise jetzt das Noviziat trifft sich jeden Samstagabend. Das sind die Schwestern, die sozusagen in der Phase sind, bevor sie... Ausbildungsphase, genau. Also das ist sogenannte Rekreation. Man spricht, man ist im Gespräch, man spielt. man schaut ein Film, trinkt ein Gläschen Wein. Also so, das ist ein Ritual geworden. Samstagabend, so als Vorbereit – eigentlich war es der Sonntag, aber jetzt haben sie darum gebeten, über kann es sich dann Samstag sein, weil sie sich gewohnt sind am Samstag. Der Feierabend. Der Feierabend und im Kloster war es eher Vorbereitung auf den Sonntag. zum Beispiel ein kleines Ritual, das entstanden ist. Ich glaube immer, wenn zwei Menschen auch in der Partnerschaft, sie müssen doch zuschauen, wie gestalten wir so einen Tag? Wie gestalten wir Weihnachten? Wie gestalten wir unsere Ferienzeiten? Also ich finde immer, wenn Menschen sich treffen, miteinander eine Wegstrecke gehen, entstehen immer wieder Rituale. Und das finde ich schön. also wie beginnt eben bei uns der Morgen oder wie wie beginnt es in einer Ehe. Oder ein Beispiel, das darf ich verraten von meiner Schwester. Man kann sagen, es ist ungesund, aber die treffen sich halt jeden Abend wirklich auf dem Balkon und dann rauchen die beiden ein Ziggarettchen und das ist ist der Moment, wo sie den Tag reflektieren. Die Raucherpause, von der haben wir heute schon einmal gehört. Genau, und das ist wichtig. Sie wollten dieses Rauchen immer wieder abgewöhnen, aber sie merken, es hilft uns. Draußen, ob es kalt ist, eiskalt oder ein schöner lauer Sommerabend, sie treffen sich noch einmal und da wird der Tag angeschaut. Was wir eigentlich im Kloster auch machen. Am Abend mal zurückzuschauen, was war heute, was hat mich gestärkt, was hat mich verletzt, was möchte ich Gott übergeben. Ja, und ich glaube in jeder Beziehung und für sich selber glaube ich auch. Ich brauche Rituale, also depressive Menschen verlieren das ja, so „Ich steh jetzt auf, ich ziehe mich an, ich putze die Zähne, ich trinke Kaffee“ und Menschen die so aus der Bahn geworfen werden, verlieren das und verlieren sich selbst darin. Und haben Sie in der Seelsorge womöglich die Erfahrung gemacht, dass gerade diesen Menschen Rituale Halt geben und ganz gut tun auf dem Weg zurück, wieder in das positive Leben? Ganz bestimmt, ja. Jetzt haben wir die Raucherpause, die wirkliche Raucherpause. Dazu eine Frage, das finde ich wirklich sehr überzeugend, und einleuchtend, was Sie erzählen. Aber es scheint mir so zu sein, als ob eine Person allein das nicht so hinbekäme mit dem Ritual. Also ist es vielleicht der Punkt, dass es zwei sind, die sich da einigen und das miteinander vollziehen, ist also Kommunikation vielleicht doch ein Teil des Rituals? Ich glaube schon. Also man muss es ja miteinander ausmachen. Also ich denke es ist auch in einer Freundschaft. Ich muss miteinander ausmachen, wie machen wir das? Wie stehen wir auf am Morgen. Also ganz banal. Wie sieht unser Abend aus? Oder ich finde das Bild immer schön, das hat man bei den Dominikanern so gesagt, Menschen sollten sich eben nicht am Morgen, so wie ein Pudel aus dem Körbchen rollen und am Abend wieder ins Körbchen zurück. Also haben wir auch da so ein Ritual und haben das gemeinsam, gleichzeitig hat doch jeder Mensch auch seine Rituale.

Da stellt sich wahrscheinlich wieder die Frage, wo fängt dann die Gewohnheit an und wo fängt und wo hört die Routine auf und sie wird zum Ritual. Die große Frage ist ja immer, welcher höheren Macht oder welchem Ideal womöglich das Ritual dient. Also ich würde jetzt bei dem was Sie gerade gesagt haben, mit der Raucherpause ab. abends auf dem Balkon sagen, dieses Ritual dient nicht natürlich nur den Nikotinzufuhr oder dem Austausch, sondern es gilt sozusagen die Zweisamkeit, die Partnerschaft, dieser Einheit gilt das Ritual. Also dieser Gedanke, dass ein Ritual etwas Höherem dienen muss, den haben wir, glaube ich, noch gar nicht so intensiv besprochen, Frau Assman, es ist doch so oder dann, da ist es doch die kleine Schwelle, wo es von der Routine zum Ritual geht. Ganz genau. Man unterwirft sich gemeinsam etwas anderem, und zwar freiwillig. Und das kann man auch sagen, so nennen, dass man sagt, man dient einer höheren Sache. Also es gibt einen höheren Zweck, der uns verbindet. Und es ist jetzt nicht nur eine Frage des Genusses oder des Wohlbefindens. Da kann man ja auch andere Quellen finden in unserer Konsumwelt. Also ich finde es sehr interessant, die Verabredung, die Beziehungsqualität, der Kommunikationscharakter des Rituals, dass man hier etwas teilt. Und vielleicht ist auch das Wort Zelebrieren nicht ganz schlecht. Rituale bringe ich immer mit Festen zusammen, Feste werden zelebriert und dass man im Alltag durchaus so kleine herausgehobene Momente genießen kann und Genuss, bekanntlich, geht immer besser zu mehreren.

Jetzt haben wir schon mehrfach den Weg in die in die säkulare Welt eingeschlagen und Paare, die, jetzt komme ich mal zu einem unserer Lieblingsrituale in diesem Gespräch, nämlich die Hochzeit, Paare, die kirchlich heiraten, sind ja mittlerweile in der Minderzahl. Viel größer ist die Gruppe derer, die sich trotzdem mehr wünschen als so die meistens etwas nüchterne standesamtliche Trauung also es werden Hochzeitsrednerinnen eingeladen, die eben solche Zeremonien abhalten, freie Trauredner gestalten, Bestattungen, für neugeborene Kinder gibt es auch weltliche Willkommensfeiern, die eben die Taufe, die wir auch schon ein paar Mal hier erwähnt haben, ersetzt. Also auch ohne konfessionelle Bindung, der Wunsch nach Ritualen, die irgendwie dann einen kirchlichen Ursprung haben, ist und bleibt auch in einer zunehmend säkularen Welt groß, oder? Schwester Scholastika, beobachten Sie das in Ihrem Umfeld? Wie erklären Sie das? Ja, es erinnert mich auch ein bisschen an die Tätowierungen. Also Menschen, die keinen Zugang haben zur Kirche, lassen sich ein Jesus-Wort tätowieren oder Maria oder die Madonna aus der Sixtini –, aus Rom. Und ich habe mal mit so einem Menschen gesprochen, das gibt Schutz und vielleicht nennen sie es nicht Segen, aber doch über diesen neuen Schritt, den sie wagen oder der jetzt geschieht, gleichsam wie ein Segen zu bekommen oder dass dieses „Ja“ nicht einfach so in einen luftleeren Raum hineingesprochen wird, sondern wie Frau Assman, wie sie es sagen, ich würde auch sagen diese Zelebration, das finde ich ein sehr, sehr gutes Wort. Ich glaube, dass ich da doch noch eine andere Dimension hineinkomme, die vielleicht nicht mehr Gott nenne, aber wo ich einen Halt, einen Schutze fahre. Das glaube ich ist für viele Menschen einfach noch wichtig. Frau Asmann, wie erklären Sie diesen Trend zu den freien Ritualen, den wir überall beobachten können in unserer Umwelt? Ja, also die Kirchlichkeit der Menschen geht ja stark zurück. das wissen wir, die Kirchen werden leerer und leerer, aber der Bedarf und der Wunsch nach irgendeiner Art von Halt oder Rückbezug, der geht damit überhaupt nicht verloren. Also der muss anders gesucht, gefunden und erfunden werden. Und in dieser Situation kann man sagen, dass es die Spiritualität ist, eigentlich die, die Menschen immer behalten oder brauchen oder auf der Suche nach ihr sind, oder man kann auch einfach nur sagen, zu der sie immer ein Verhältnis haben. Hierhin? Spiritualität ist den Menschen sozusagen nicht fremd, so wie eben Rituale, den Menschen nicht fremd sind und die erfinden sie immer wieder. Das ist ihnen gemäß gewissermaßen, also ist es anders als bei den Tieren vielleicht. Es sind das Dimensionen, die mit zum Menschsein gehören. Das ist was sehr humanes und dafür werden im Moment gerade immer wieder neue Formen erfunden. Wenn ich dazu etwas ergänzen darf, es fällt mir so auf, eigentlich diese Feste, die die Menschheit lange kannte, beispielsweise Sonnenwendenfest, das wurde dann durch die Christen, wurde Weihnachten daraus. Also ich habe den Eindruck, wenn ich so zuhöre, es geht wieder in die andere Bewegung. Also... ja, genau. Also, das ist ganz, ganz wichtig, was Sie sagen. Unter den ganzen christlichen Festen liegen heidnische Feste. Und wir haben vorhin schon gesagt, diese Rituale kommen alle irgendwie von weit her. Die haben wir meistens nicht erfunden, sondern wir werden von Ihnen mitgenommen. Aber Sie sind nicht die älteste Schicht unserer Kultur. Und das Interessante ist, dass es vor allem ländliche Gegenden gibt. in Österreich zum Beispiel, wo wir immer unsere Ferien machen. Da ist von diesen Paganenkulten noch sehr viel übrig geblieben. Dazu gehört, dass die Fruchtbarkeit der Äcker gewährleistet sein muss. Und dafür wird immer, an einem religiösen Tag, wird dann so ein kleiner Ährenbündel mit verschiedenen Pflanzen in die Erde gesteckt. Und wenn das nicht ist, dann funktioniert das alles nicht. Also es gibt ja so eine Art Zauber, der wahrscheinlich uralt ist oder an dem man festhält, ohne sich da klar zu machen, dass es etwas Paganes ist. Und dieses Ineinandergehen von verschiedenen Formen von Ritualen, finde ich sehr interessant, dass die eigentlich ihr Stockwerke haben und unter Schichten, so wie früher eben auch die christlichen Kirchen auf die griechischen Tempel drüber gebaut wurden. Man konnte archäologisch dann finden, dass drunter schon ein Heiligtum war und man diesen heiligen Ort eigentlich neu besetzt oder umbesetzt. Und diese Mehrstöckigkeit zeigt uns, dass das wirklich etwas ist, was sehr, sehr urmenschlich ist und auch in den Kulturen der ganzen Welt verbreitet ist. So das ist, man kann es sagen, es gibt Rituale, die 60 .000 Jahre alt sind, wenn wir nach Australien gehen, die sogenannten Songlines, die Traumpfade, das sind in der in der Mythen zurückgehende Pfade, die gelaufen werden müssen, auch da haben wir das Wandern wieder, gelaufen werden müssen zu bestimmten Jahreszeiten und in die auch die ganze kulturelle Überlieferung, die ja nicht ausgelagert ist in Museen, Archiven und so weiter, die alle körperlich tradiert wird, die muss auch immer aufgeführt werden. Das ist vielleicht noch das Wichtigste bei dem körperlichen Vollzug der Rituale, weil der Körper es macht, muss der Körper das auch erinnern. Er hat keinen Depot, wo er das lassen kann. Er muss es wiederholen, damit es nicht verloren geht. Und solche Songlines, solche landschaftlichen, herausgehobenen Orte, die immer wieder wieder aufgesucht werden, an denen die entsprechenden Mythen erzählt werden und Lieder gesungen werden und Dramen aufgeführt werden, das ist das, was die Kultur und gleichzeitig die Welt in Gang hält. Also für die Welt und das Überleben der Welt muss man sorgen. Die kann man sich nicht allein überlassen. Und das war schon im alten Ägypten so, wo man nicht darauf vertraute, dass es ein Naturgesetz geben muss, dass die Sonne jeden Morgen aufgeht, sondern man musste sie nachts mit einer Barke durch die Unterwelt fahren, damit sie am Morgen wieder rechtzeitig erscheinen konnte. Da musste man immer nachhelfen. Also die Welt in Gang halten war eigentlich eine ganz großartige Idee, denn dann, wenn man eine solche Haltung hat, dann würde man sie nicht einfach kaputt machen, diese Welt. Also man würde mehr Fürsorge, mehr Sorgfalt auf diese Welt aufwenden und sich klar sein, dass es die Welt ist, die uns erhält und wir müssen sie deswegen auch erhalten.

Pflege. Also wir haben gerade gesagt, Rituale gehen nicht ohne Pflege. Rituale sind eine Form der Pflege und es gibt auch das Wort Brauchtum oder das Wort Tradition, aber in jedem Fall ist es etwas, was man tun muss, wo man sich hineingibt, wofür man sich Zeit nehmen muss, das ist ganz entscheidend. Das braucht alles sehr viel Zeit. Es braucht auch Lebenszeit, denn die ist die verkörperte Zeit und nicht nur die gemessene Zeit. Also diese ganzen Dinge, die wir eben jetzt auch gehört haben, also das hat sehr viel mit diesem Einverseelen und dem Einverkörpern zu tun. Und das ist tatsächlich vielleicht eine dritte Zeit, die wir noch nennen können, die Zeit der Uhr, die Zeit der Feste, aber eben auch die Zeit des Körpers, die alte Zeit unseres Lebens, die Lebenszeit ist da mit involviert. Und von daher ist das wirklich das grundsätzlichste Element der Kultur, dass sie solche Rhythmen schafft und die Menschen in solchen Rhythmen auch organisiert. Nur ein Satz, das wird mir nämlich heute bewusst, wenn ich sage „Kultur ist Pflege“, als ich neu nach Deutschland kam, und ich hörte Kulturtasche, da hab ich gedacht, was ist eine Kulturtasche. Jetzt weiß ich es. Wie heißt es bei Ihnen? Necessaire, okay.

Ich möchte so langsam gegen Ende unseres Gesprächs mit einer kühnen These nochmal aufwarten, denn wir hatten es jetzt gerade noch von dem so menschlichen, der Kultur nämlich und so menschlich, so urmenschlich ist es, das Rituale gepflegt werden, begegnen wir womöglich – jetzt komme ich zu gemeinschaftlichen Ritualen noch einmal – begegnen wir womöglich mit gemeinschaftsstiftenden Ritualen, unserer menschlichen Urangst, nämlich nicht allein zu sein? Was halten Sie davon, Schwester Scholastika, von dieser Theorie? Ja, diese Zugehörigkeit, also Rituale verbinden uns, ich habe eine Zugehörigkeit. Und ich fand ein ganz wichtiges Wort, dass Sie, Frau Assmann, vorhin gesagt haben, es hat was Freiwilliges. Nichts erzwungenes, sonst wird es ja gefährlich, wenn wir so in unsere Zeit jetzt hineinschauen. Es hat was Freiwilliges und es schwingt in mir etwas mit, das haben Sie gesagt. Es gibt eine Schwingung und ich glaube, diese Schwingung verbindet uns und die brauchen wir. Wir sind ja nicht, wir sind halt keine Eremiten, das sind wenige und die müssen auch die Zurückbindung haben an eine Gemeinschaft, die sind nicht einfach einsam. Ja, ich finde das stimmt. Also schon ein Bogen, womöglich jetzt nochmal die Frage an Frau Assmann, ein Bogen sozusagen auf die Linie, der wir entstehen und womöglich auch, ich habe gerade die menschliche Urangst genannt, nicht allein zu sein, womöglich sogar die Urangst nicht allein sterben zu müssen. Ja, also ich glaube, da haben Sie einen sehr wichtigen Punkt und wir hatten ihn vorhin ja schon mal in unserem Gespräch, als die Frage war, auf dem Balkon abends beim Zigarette rauchen kann man das auch alleine oder braucht man noch eine zweite Person und da wurde doch deutlich, dass die Konstruktion des Rituals eigentlich auf eine Verbindung ausgerichtet ist, dass man an etwas partizipiert, dass man etwas gemeinsam macht und wir leben ja innerhalb der Konsumwelt, der westlichen Individualwelt in einer kulturellen Umgebung, in der das Individuum sehr abstrakt sich lossagt von allen Bindungen. Also wenn ich an die Philosophie denke, da gibt es nur die Subjektphilosophie. Das Subjekt ist immer autark und in der Wirtschaftswelt ist es der, der sich durchsetzt. Da spielt die Mitmenschlichkeit eine geringere Rolle. Also die Sozialität, diese ganze Dimension, dass wir eigentlich doch primär soziale Wesen sind und das von Anfang an sind und vor allem auch am Ende sind unseres Lebens, aber zwischendurch geben wir uns der Illusion der absoluten Individualität hin. Ich glaube, das Ritual wäre da eine Art Gegenargument dafür.

Mit anderen Worten. Zwei Welten im Gespräch. Heute ging's in unserem Podcast um Rituale, um Traditionen. Im Gespräch waren miteinander die Dominikanerin Schwester Scholastika Jurt vom Kloster Arenberg und die Kultur- und Literaturwissenschaftlerin Aleida Assmann. Ganz herzlichen Dank an Sie beide. Wir danken. Als ich danke sehr Herzlich. Ich danke Ihnen beiden sehr. Danke für die Begegnung. - genau. Wenn Ihnen diese Folge gefallen hat, dann freuen wir uns, wenn Sie diesen Podcast abonnieren, weiterempfehlen und uns an Ihren Gedanken und Themenvorschlägen teilhaben lassen. Schicken Sie uns einfach eine Mail an podcast @dominikanerinnen .net. Mein Name ist Maria Ellmenreich und ich sag bis bald.

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